The Transformation of Historical Scholarship in Eastern Germany Since 1990

The Transformation of Historical Scholarship in Eastern Germany Since 1990

Organisatoren
The State University of New York at Potsdam, USA (Prof. Dr. Axel Fair-Schulz) in Kooperation mit Prof. Dr. Mario Keßler (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam, Deutschland)
Ort
Potsdam (NY)
Land
United States
Vom - Bis
01.09.2008 - 03.09.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Mario Keßler (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam, z. Zt. Yeshiva University, New York)

Fast zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Ende ihrer Geschichtswissenschaft trafen sich vom 1. bis zum 3. September 2008 erstmals zwölf Historiker (darunter nur eine Historikerin mit dem Spezialgebiet Filmgeschichte) aus Ostdeutschland, den USA und Kanada zu einer Konferenz, um eine vorläufige Bilanz der seinerzeitigen „Abwicklung“ zu ziehen. Die Veranstaltung trug den Titel „The Transformation of Historical Scholarship in Eastern Germany Since 1990“. Tagungsort war keine deutsche Universität, sondern die im Nordosten der USA befindliche State University of New York (SUNY) at Potsdam, deren Präsident John Schwaller zeitweilig an der Konferenz teilnahm. Der 1806 gegründete, an der Grenze zu Kanada gelegene kleine Ort ist Sitz einer Abteilung der Universität des US-Bundesstaates New York. Initiiert wurde die Veranstaltung durch die Initiative Sozialwissenschaftler Ost, einer Interessengemeinschaft von heute vorwiegend ausserhalb des etablierten Wissenschaftsbetriebes stehenden Historikern der Ex-DDR. Die Finanzierung der Tagung wurde durch Unterstützung der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie verschiedener Einrichtungen und Gremien der SUNY Potsdam gesichert. Die SUNY Potsdam organisierte auch Exkursionen in die Flusslandschaft der Thousand Islands am St. Lawrence River sowie nach Lake Placid, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1932 und 1980, in den Adirondack Mountains.

Historiker der Alt-Bundesrepublik, obwohl eingeladen, fehlten bei der Tagung, die in den lokalen Medien starke Beachtung fand – nicht zuletzt, weil Wissenschaftler aus zwei Städten teilnahmen, die den gleichen Namen trugen: Potsdam. Den Organisatoren der Tagung, Axel Fair-Schulz (SUNY Potsdam, USA) und Mario Keßler (Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), Potsdam, Deutschland), ging es um eine nüchterne Bestandsaufnahme der Gewinne und Verluste, die durch die Transformation der Geschichtswissenschaft in Ostdeutschland nach 1990 zu verzeichnen waren. Die Vorträge zeichneten sich – was bei dem noch immer stark durch Emotionen bestimmten Thema unterstrichen wurden sollte – durch Sachlichkeit aus, Polemik oder gar Häme fehlten.

Die Amerikaner GEORG IGGERS (Buffalo) und KONRAD JARAUSCH (Chapel Hill) zogen eine kritische Bilanz der DDR-Geschichtwissenschaft. Neben empirisch wertvollen Studien seien zu viele „weiße Flecken“ auf der Landkarte der Historiographie geblieben, und dies nicht nur im politisch sensiblen Bereich der Geschichte der DDR oder des Kommunismus. Auch die Gesellschaftsgeschichte des Bürgertums wie überhaupt der nichtproletarischen und nichtbäuerlichen Klassen und Schichten sei über viele Jahre hinweg vernachlässigt worden. Der Auffassung, der Begriff Sozialgeschichte sei in der DDR lange mit einem Tabu belegt gewesen, widersprachen jedoch die aus der DDR stammenden Teilnehmer. Iggers wie Jarausch betonten, eine generelle Umstrukturierung, auch mit personellen Konsequenzen, sei 1989/90 nötig gewesen; die Art und das Ausmaß der „Abwicklung“ kritisierten beide jedoch deutlich. WILLIAM PELZ (Elgin/Chicago) sprach hingegen von einer „Revanche der Krupps an den Krauses“; er spielte damit auf den DDR-Fernsehfilm an, in dem die Arbeiter, die Krauses, gegenüber dem Kapital, den Krupps, die Nase vorn hatten.

STEFAN BOLLINGER (wie die folgenden Referenten aus Berlin) verwies darauf, dass 1990 manch interne Kritik am westdeutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem verstummte, während einstige bundesdeutsche Partner von DDR-Forschern nunmehr zu deren schärfsten Kritikern wurden. Solidarität mit den „Abgewickelten“ übten vor allem solche linken westlichen Gelehrten, die vor 1989 in der DDR wegen ihres unorthodoxen Marxismus scharf angegriffen worden waren. Diese generelle Tendenz zeigte sich auch an den untersuchten Beispielen der Sektion Geschichte der Universität Leipzig (WERNER RÖHR), der Hochschule für Ökonomie Karlshorst (JÖRG ROESLER) des Akademie-Instituts für Wirtschaftsgeschichte (AXEL FAIR-SCHULZ) und des Jenaer Interdisziplinären Zentrums für Konservatismus-Forschung (LUDWIG ELM, Jena). Insbesondere die Beseitigung des Akademie-Instituts für Wirtschaftsgeschichte sei aus reinen Konkurrenzgründen erfolgt; wissenschaftlich messbare Kriterien seien in der Negativ-Bewertung der unter Federführung von Max Kaase stehenden Evaluation nur schwer erkennbar gewesen. Diese Meinung fand in der anschließenden Debatte eine breite Unterstützung. Hier wie im Falle des Jenaer Zentrums für Konservatismus-Forschung seien auch ausgesprochen positive Urteile aus anderen westlichen Ländern ignoriert worden.

Dass es auch anders ging, bewies die Sektion Anglistik und Amerikanistik der Pädagogischen Hochschule Potsdam, die in den Bestand der heutigen Universität einging. RAINER SCHNOOR (Potsdam), der dort seine Stelle behielt, konnte neben negativen Erfahrungen somit auch Beispiele gegenseitigen Verstehens ost- und westdeutscher Hochschullehrer nennen. Und doch „überlebten“ von sechzig DDR-Amerikanisten nur elf in ihrem Beruf.

MARCUS AURIN (Chicago) stellte die Ergebnisse seiner Dissertation vor, die sich mit der „zweiten Wissenschaftskultur“ in Ostdeutschland befasst, mit dem von ostdeutschen Forschern außerhalb der Universitäten gebildeten Netzwerk politischer Bildungsvereine. Deren Tagungen und Schriften seien teilweise interessanter als manche der etablierten westdeutschen Zunft, betonte Aurin (und nach ihm mancher der Diskutanten). Immer wieder wurden auch die Gründerväter der Geschichtswissenschaft in beiden deutschen Staaten angesprochen. Es sei durchaus noch offen, so MARIO KESSLER (Potsdam/New York), welche Historiker der Nachwelt in besserer Erinnerung bleiben werden: jene, die sich aus Nazideutschland nahtlos in die bundesdeutsche Gesellschaft integrierten und dabei ihren Antikommunismus (allerdings nicht ihren Antisemitismus) beibehielten, oder jene, die unter Hitler verfolgt worden waren, nach 1945 eine sozialistische Gesellschaft errichten helfen wollten, sich dabei aber einer Parteidiktatur anpassten, die vor der Geschichte nicht bestand.

Die Tagung wurde mit einer öffenlichen Buchpräsentation der Memoiren von GEORG und WILMA IGGERS (Buffalo) „Two Lives in Uncertain Times“ sowie mit der englischen Version von Kurt Maetzigs 1965 verbotenem Film „Das Kaninchen bin ich“ abgeschlossen, zu dem MEREDITH HEISER (Los Altos Hills) eine Einführung gab. Die Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der DDR-Kulturgeschichte bezeichnete sie als eine notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit eigener Art.

Insgesamt blieben die Bilanzen aus der Sicht der ostdeutschen Wissenschaftler zwiespältig: Den Zugewinn an persönlicher Freiheit vermochte nur jene Minderheit der DDR-Historiker wissenschaftlich produktiv umzusetzen, die dazu die Chance bekam. Aus den universitären Lehrplänen der ostdeutschen Bundesländer verschwanden viele Themen der Allgemeinen Geschichte. Die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung kommen kaum noch vor, und stärker als in Westdeutschland bestimmt nach Meinung der meisten Konferenzteilnehmer eine traditionelle Auffassung vom Fach das Angebot in Lehre und Forschung an vielen ostdeutschen Hochschulen.

Die Beiträge werden in englischer Sprache in einem Tagungsband veröffentlicht.

Kurzübersicht

September 1, 2008

Session 1
Chair: Axel Fair-Schulz (SUNY Potsdam, USA)

Mario Keßler (ZZF Potsdam, Germany): A Different Starting Point, a Different End: East and West German Historiography After 1945

Session 2
Chair: Meredith Heiser (Foothill College, Los Altos Hills, CA)

Georg Iggers (SUNY Buffalo): Where Did Historical Studies in the German Democratic Republic Stand at the Eve of Unification?

William Pelz (Elgin College, Elgin, IL): The Revenge of the Krupps? Reflections on the End of GDR Historiography

Session 3
Chair: Mario Keßler (ZZF Potsdam, Germany)

Stefan Bollinger (Free University, Berlin): German Unification and the Debate in West German Social Sciences

Jörg Roesler (formerly Academy of Sciences, Berlin): The Dissolution of East German Economic History at the Economic University in Berlin-Karlshorst

Luwig Elm (formerly University of Jena): The Research on Political Conservatism: The History and End of an Interdisciplinary Project

September 2, 2008

Session 4
Chair: Rainer Schnoor (University of Potsdam, Germany)

Konrad H. Jarausch (University of North Carolina, Chapel Hill): Transforming East German Higher Education: The Case of the Humboldt University

Axel Fair-Schulz (SUNY Potsdam, USA): The Dissolution of the Institute of Economic History at the Academy of Sciences

Werner Röhr (Berlin; formerly University of Zielona Gora, Poland): The Dismantling of GDR Historical Scholarship: The Example of the University of Leipzig

Session 5
Address by President John Schwaller (SUNY Potsdam, USA)
Chair: Georg Iggers (SUNY Buffalo)

Rainer Schnoor (University of Potsdam, Germany): From ‘Imperialist Superpower’ to ‘Partner in Leadership’ in 356 Days: East German American Studies Since 1989

Marcus Aurin (University of Chicago): Obscuring East Germany: The Phantom Menace of East Germany to Social Scientific Understanding of Post-Reunified Germany

Session 6
Roundtable Discussion (in German), Chair: Axel Fair-Schulz (SUNY Potsdam, USA)
Participants: Marcus Aurin, Stefan Bollinger, Ludwig Elm, Meredith Heiser, Mario Keßler, Jörg Roesler, Werner Röhr, Rainer Schnoor

Evening Presentation

Meredith Heiser (Foothill College, Los Altos Hills, CA): A Retrospective View on Filmmaking Before and After the Berlin Wall Through the Lens of Kurt Maetzig’s ‘The Rabbit Is Me’

September 3, 2008

Georg and Wilma Iggers: Presentation of their Memoirs ‘Two Lives in Uncertain Times: Facing the Challenge of the 20th Century as Scholars and Citizens’ (Berghahn Books, Oxford and New York)

(Wilma Iggers war krankheitshalber an der Teilnahme verhindert.)

Kontakt

Mario Keßler
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
z. Zt. Yeshiva University, New York
Email: <mariokessler@yahoo.com>


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